Es folgt eine der frühesten Erwähnungen von Umkehrhaltungen in den frühen Haṭha-Yoga-Literatur.

Dattatreyayogashastra
karaṇamNominativ Singular
karaṇaSubstantiv Maskulin
Mittel, Handlung, Technik
viparītāNominativ Singular
viparītaSubstantiv Feminin
der Umkehrer
ākhyāmAkkusativ Singular
ākhyāAdjektiv Feminin
genannt
sarvaKarmadhāraya-Kompositum
sarvaAdjektiv
alle
vyādhiTatpuruṣa-Kompositum Genitiv
vyādhiSubstantiv Maskulin
Krankheit
vināśanamAkkusativ Singular
viPräfixnāśanaAdjektiv
zerstörend
viPräfixauseinander, getrennt
nāśanaAdjektivzerstörend
nityam Akkusativ Singular
nityaAdjektiv
immer, fortdauernd
abhyāsaBahuvrīhi-Kompositum
abhyāsaSubstantiv Maskulin
Praxis
yuktasya;Genitiv Singular
yuktaAdjektiv
beschäftigt mit
jaṭharaTatpuruṣa-Kompositum Lokativ
jaṭharaSubstantiv Maskulin
Bauch
agniḥNominativ Singular
agniSubstantiv Maskulin
Feuer
vivardhate3. Person Medial Präsens
viPräfixvr̥dhVerbalwurzel
es wächst an

Die Technik mit dem Namen “der Umkehrer” (viparītā karaṇa) zerstört alle Krankheiten (vyādhi). Einer der immer mit dessen Praxis beschäftigt ist, dessen Feuer (agni) im Bauch steigert sich.

āhāraḥNominativ Singular
āhāraSubstantiv Maskulin
Essen
bahulaḥNominativ Singular
bahulaAdjektiv
viel
tasya;Genitiv Singular
tadPronomen
dessen
saṁpādyaḥNominativ Singular
saṁpādyaAdjektiv
zu Stande —, zu Wege zu bringen, zu Stande —, zu Wege gebracht werdend
sāṅkr̥teVokativ Singular
sāṅkr̥tiSubstantiv Maskulin
oh Sāṅkr̥ti
dhruvamAkkusativ Singular
dhruvaAdjektiv
dauerhaft
alpaKarmadhāraya-Kompositum
alpaAdjektiv
wenig
hāraḥNominativ Singular
āhāraSubstantiv Maskulin
Essen
yadi
yadiAdverb
wenn
bhavet3. Person Singular Indikativ Präsens
bhūVerbalwurzel
es würde sein
agniḥNominativ Singular
agniSubstantiv Maskulin
Feuer
dāhamAkkusativ Singular
dāhaSubstantiv Maskulin
das Verbrennen
karoti3. Person Singular Indikativ Präsens
kr̥Verbalwurzel
es verbrennt
vai
vaiPartikel
wahrlich

Oh Sāṅkr̥ti immerzu soll er viel essen. Wenn er wenig isst dann würde wahrlich das Feuer (agni) ihn verbrennen.

ūrdhvamAkkusativ Singular
ūrdhvaAdjektiv
nach oben gerichtet
bhānuḥNominativ Singular
bhānuSubstantiv Maskulin
die Sonne
adhaḥNominativ Singular
adhasAdjektiv
nach unten gerichet
candraḥNominativ Singular
candraSubstantiv Maskulin
der Mond
tat Akkusativ Singular
tadPronomen Neutrum
das
yathā
yathāAdverb
wie, entsprechend, dass
śr̥ṇu2. Person Imperativ Singular
śrūVerbalwurzel
höre
sāṅkr̥teVokativ Singular
sāṅkr̥tiSubstantiv Maskulin
oh Sāṅkr̥ti

Höre zu oh Sāṅkr̥ti, wie die Sonne nach oben und der Mond nach unten zu richten [ist].

adhaḥKarmadhāraya-Kompositum
adhasAdverb
nach unten gerichtet
śiraḥNominativ Singular
śirasSubstantiv Maskulin
Kopf
ca
caPartikel
und
ūrdhvaKarmadhāraya-Kompositum
ūrdhvaAdverb
nach oben gerichtet
pādaḥ;Nominativ Singular
pādaSubstantiv Maskulin
Fuß
kṣanamAkkusativ Singular
kṣaṇaAdjektiv
einen Augenblick
syāt 3. Person Optativ Singular
asVerbalwurzel
er möge/soll tun
prathameLokativ Singular
prathamaAdjektiv
am ersten
dineLokativ Singular
dinaSubstantiv Maskulin
am Tag
kṣaṇāt Ablativ Singular
kṣaṇaSubstantiv Maskulin
vom Augenblick an
tu
tuPartikel
nun
kiṁcitNominativ Singular
kimPronomencitSuffix
irgendeinen
adhikam; Akkusativ Singular
adhikaAdjektiv
hinzukommen, mehr seiend
abhyāsenaInstrumentalis Singular
abhyāsaSubstantiv Maskulin
durch die Praxis
dineLokativ Singular
dinaSubstantiv Maskulin
am Tag
dineLokativ Singular
dinaSubstantiv Maskulin
am Tag

Nur eine kurze Zeit soll er am ersten Tag den Kopf nach unten gerichtet haben und die Füße nach oben gerichtet. Tag für Tag soll er im Laufe der Praxis die Dauer etwas steigern.

valiḥNominativ Singular
valiSubstantiv Maskulin
Falte der Haut
ca
caPartikel
und
palitaḥNominativ Singular
palitaSubstantiv Maskulin
graues Haar
ca
caPartikel
und
eva
evaPartikel
so, auf diese Weise
ṣaṭNominativ Plural
ṣaṭZahlwort
sechs
māsaḥNominativ Singular
māsaSubstantiv Maskulin
Monate
ūrdhvamAkkusativ Singular
ūrdhvaAdjektiv
in Folge dessen
na
naPartikel
nicht
dr̥śyate3. Person Präsens pass Singular
dr̥śVerbalwurzel
wird nicht gesehen
yāmamātramAkkusativ Singular
yāmaSubstantiv MaskulinmātraSubstantiv Maskulin
drei Stunden
yāmaSubstantiv MaskulinFortgang
mātraSubstantiv MaskulinMaß
tu
tuPartikel
doch, nun
yaḥNominativ Singular
yadPronomen
wer
nityam; Akkusativ Singular
nityaAdjektiv
fortwährend
abhyaset 3. Person Optativ Singular
abhiPräfixasVerbalwurzel
üben würde
saḥNominativ Singular
tadPronomen
der
tu
tuPartikel
wahrhaft
yogaUpapada-Kompositum
yogaSubstantiv Maskulin
Yoga
vitNominativ Singular
vidVerbalwurzel
Kenner

In Folge dessen werden nach sechs Monaten Hautfalten und graues Haar verschwinden. Wer fortwährend 3 Stunden (yāmamātra) üben würde, der wird wahrlich ein Kenner des Yoga (yoga-vid).

Umkehrhaltung zur Bewahrung von bindu

Die ursprüngliche Idee des Nutzens und der Wirkung von Umkehrhaltungen im ~i~Ha.tha-Yoga~ ist eng mit einem wichtigen Grundkonzept des yogischen Körpers verknüpft: Der menschliche Körper ist ein mikrokosmisches Abbild des Makrokosmos. Demnach existiert alles was im externen Universum vorhanden ist auch im internen Universum. Die beiden Konstituenten, die mit dieser Technik in Zusammenhang stehen sind Mond (candra) und Sonne (sūrya). Sie existieren nicht nur in der äußeren Welt und haben maßgeblichen Einfluss auf das Leben des Menschen, sondern auch im yogischen Körper spielen sie eine zentrale Rolle.

Der innere Mond befindet sich im Schädel des Yogis. Dieser ist bei Lebensbeginn, wie ein voller Mond mit dem Nektar der Unsterblichkeit, bzw. Nektar des Lebens (amr̥ta), einer schneeglitzergleichen Substanz aufgefüllt. Im Laufe des Lebens nimmt der Mond ab und verliert dabei immer mehr des Nektars und somit an Lebensenergie. Dieser Lebenssaft tropft den zentralen Kanal (suṣumna) herunter und wird stetig von der inneren Sonne, in dessen Mitte sich das innere Feuer befindet, konsumiert. Der Mensch lebt so lange bis der Vorrat an Nektar im inneren Mond verbraucht ist1.

Mit Umkehrhaltungen, wie etwas einem Kopfstand, Schulterstand oder der Fledermaushaltung (der Yogi hängt Kopfüber mit einem Seil das an den Füßen befestigt ist von einem Baum herunter) versuchte man den Effekt der Schwerkraft zu nutzen und so den göttlichen Nektar nicht weiter von inneren Mond heruntertropfen zu lassen. Der Strom des Nektars hin zu Sonne und Feuer wird umgekehrt, sodass die Lebenskraft erhalten bleibt. Wenn weniger flüssiger Nektar das Feuer durch das Praktizieren von Umkehrhaltungen erreicht, dann wird das Feuer wie in DYS 145 beschrieben folglich immer stärker.

1:

Eine ausführliche Beschreibung des yogischen Körpers befindet sich in Amr̥tasiddhi Kapitel 1-5. Eine kürzere Kurzform findet sich in Gorakṣayogaśāstra 1-11 (Liersch 2018:58-60).

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