Die integrale Philosophie ist eine Philosophie der Evolution. Eine Geschichte der Evolution des Bewusstseins, von der Entstehung des Kosmos bis zu den höchsten Stufen des menschlichen Geistes. Doch sie ist noch viel mehr als das, wie der integrale Philosoph Steve McIntosh schreibt: nämlich „eine Philosophie, die buchstäblich Evolution hervorbringt“. Das große Thema der integralen Philosophie ist die Entstehung einer neuen Weltsicht, die als „integrales Bewusstsein“ bezeichnet wird.

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Ralf Rossnagel, Inhaber des Mattengold-Studios, Leiter der AYI Inspired Ausbildung in Stuttgart und Autor des folgenden Textes über die Integrale Philosophie, beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Integraler Philosophie. Er ist AYI Expert Lehrer, Journalist und Integral Business Practitioner.
Bereits am 29. September 2023 startet eine AYI Inspired Yogalehrer*innen Ausbildung im Mattengold Yoga & Pilates in Stuttgart. Die integrale Philosophie ist Bestandteil der Ausbildung.

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Woher kommen wir? Und wohin wird sich die Menschheit spirituell entwickeln? Warum hält sich faschistisches, nationalsozialistisches Gedankengut so hartnäckig in unseren Gesellschaften? Wird es uns gelingen, die Erde vor dem Klimakollaps zu bewahren? Was ist Erleuchtung?

So unterschiedlich diese Fragen auch sind, so hilft uns die integrale Philosophie doch, auf fast alle schlüssige Antworten zu finden. „Nach der integralen Philosophie kann fast jedes Problem in der Welt als ein Problem des Bewusstseins erkannt werden“, schreibt dazu Steve McIntosh, und die Lösung dieser Probleme sei in der Weiterentwicklung des Bewusstseins zu finden. Doch wir finden nicht nur Antworten auf gesellschaftliche und politische Fragen, auch uns selbst und unsere Beziehungen, unsere inneren und zwischenmenschlichen Konflikte und Potenziale, beginnen wir mit zunehmendem integralen Verständnis besser zu verstehen.

Alles ist mit allem verbunden

Die integrale Philosophie ist konsequent holistisch. Ein Holon (griech. holos = ganz) ist immer sowohl ein Ganzes als auch Teil eines noch größeren Ganzen. Wie ein Atom, das elementarer Bestandteil eines Moleküls ist. Wie eine Zelle, die als Einzeller existieren kann, gleichzeitig Teil eines jeden komplexeren Organismus ist. Dabei kennt die Evolution nur eine Richtung: hin zu mehr Organisation, mehr Komplexität, mehr Bewusstheit. Holons, die sich zu etwas größerem verbinden, werden eingeschlossen und transzendiert; nichts geht verloren, aber es kommt immer etwas Neues hinzu. Und Holons existieren nicht nur auf materieller Ebene. Weil sich Evolution nicht nur im Äußeren vollzieht, sondern auch im Innern, gilt das holistische Prinzip auch dort:  im Bereich der Evolution des menschlichen Bewusstseins und der Kultur.

Evolution findet also immer in drei Bereichen statt: Natur, Selbst und Kultur; diese drei großen Bereiche der Evolution nennt Ken Wilber das ES (objektiv), das ICH (subjektiv) und das WIR (intersubjektiv). Oder auch: das Wahre, das Gute und das Schöne. Die östlichen Traditionen – wie Yoga und Buddhismus – beschäftigen sich ausschließlich mit der Entwicklung des Ich, des Subjektiven, und sie haben hier Phänomenales geleistet. Doch wer verstehen will, wie sich menschliches Bewusstsein entwickelt und einen Blick auf die Zukunft der Evolution werfen möchte, darf die anderen Bereiche nicht außer Acht lassen.

Von Bewusstseinsstufen und -zuständen

„Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen, der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.“ So beschreibt Hermann Hesse in seinem wundervollen Gedicht „Stufen“ ein Phänomen, welches heute in der Entwicklungspsychologie als gesicherte Erkenntnis gilt: dass sich menschliches Bewusstsein in Stufen entwickelt.

Sri Aurobindo hat die höheren Bewusstseinsstufen (synonym verwandt wird der Begriff Bewusstseinsebenen) des menschlichen Geistes – des Mentals, wie er es nannte – beschrieben, seine Erkenntnisse beruhten auf eigener (subjektiver) Erfahrung, auf Selbstbeobachtung und Selbstreflexion. Ken Wilber integriert Sri Aurobindos Modell heute noch in sein Modell der kognitiven Entwicklung.

Einer der ersten westlichen Wissenschaftler, die diesen Entwicklungsstufen auf die Spur kamen, war der amerikanische Psychologe James Mark Baldwin, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts die mentale und emotionale Entwicklung von Kindern und Erwachsenen wissenschaftlich erforschte. Viele sind ihm seither gefolgt, wie Teilhard de Chardin, Jean Piaget, Lawrence Kohlberg, Jane Loevinger, Abraham Maslow, Robert Kegan oder Clare W. Graves, um nur einige zu nennen. Sie haben die kognitive, emotionale, moralische Entwicklung oder die Entwicklung des Selbst untersucht, und sie kamen alle zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung in Stufen verläuft. Manche haben dabei drei, manche fünf, andere sieben oder mehr Stufen beschrieben. Dies sei aber letztendlich nicht entscheidend, schreibt Ken Wilber dazu. Wichtig sei nicht die Anzahl der Stufen, sondern dass wir anerkennen, dass es diese Stufen gibt.

Wichtig ist es zudem, zwischen Bewusstseinsstufen und Bewusstseinszuständen zu unterscheiden. Samadhi ist ein Bewusstseinszustand, ähnlich wie Wachen, Träumen und Tiefschlaf. Ein Zustand ist stets vorübergehend und kann so schnell wieder aufgelöst sein, wie er eingenommen wurde. Eine Bewusstseinsebene hingegen ist von Dauer und daher von deutlich größerer Tragweite als ein Bewusstseinszustand. Wie wir die Welt sehen, wird davon bestimmt, auf welcher Bewusstseinsebene wir uns befinden. Bis wir eine neue Stufe erklimmen, dauert es in der Regel Jahre – oder wir verharren irgendwann auf einer bestimmten Stufe und unsere Entwicklung kommt zum Stillstand.

Das Wilber-Combs-Raster
Meditative Zustände entsprechen von der Aktivität unseres Gehirns her den natürlichen Zuständen des (konzentrierten) Wachseins, des Traums und des Tiefschlafs. Die Energie im konzentrierten Wachzustand wird grobstofflich genannt, weil wir uns hier auf etwas Materielles ausrichten, unseren Körper zum Beispiel, wie im Yoga. Oder wir erfahren zum Beispiel einen Zustand des tiefen Einsseins mit der Natur, einem Baum, Berg oder dem Meer etwa. Im zweiten Zustand, der dem Traumzustand entspricht, fokussieren wir uns auf innere Bilder, Farben oder Energien, weshalb er als subtil (feinstofflich) bezeichnet wird. Auch eine transzendente Erfahrung des Absoluten, des Göttlichen (von dem wir allerdings noch getrennt sind) ist typisch für diesen Zustand. Der dritte Zustand, der dem Tiefschlaf gleichgesetzt wird (nur dass wir wach, also bewusst sind) und in dem die Aktivität des Gehirns fast gänzlich zum Stillstand kommt, wird als kausal bezeichnet – ein Zustand, der als formlos und leer beschrieben wird, in dem wir ein hoch bewusstes reines, wahres Selbst erleben. Der vierte Zustand ist der Zustand der Non-Dualität, der Nicht-Zweiheit. Wir sind eins mit allem, was ist, es gibt keine Trennung mehr zwischen uns und dem Absoluten, dem Göttlichen, dem kosmischen Bewusstsein.

Auch wenn dies eine kurze und etwas vereinfachte Darstellung äußerst komplexer Phänomene ist, hilft es uns, eine Vorstellung zu bekommen von dem, was früher als Erleuchtung bezeichnet wurde und was wir heute unter Erleuchtung verstehen sollten. Dachte man früher, Samadhi, der Zustand in dem wir das Absolute erfahren, sei der letzte und endgültige, so weiß man heute, dass Menschen jeder Bewusstseinsstufe eine transzendente, mystische Erfahrung machen können, eine Samadhi- beziehungsweise Erleuchtungserfahrung. Und dass diese Erfahrung geprägt ist von der Kultur und Weltsicht der jeweiligen Stufe – und sich also verändert, mit zunehmender Evolution des Bewusstseins. Ken Wilber und Allan Combs haben dies erkannt und im so genannten Wilber-Combs-Raster dargestellt.

„Erleuchtung ist ein niemals endender Prozess der Selbsttransformation“, sagt Ken Wilber deshalb. Sein Buch „Halbzeit der Evolution“ gibt einen Hinweis darauf, wo wir heute in etwa stehen.

Von Bewusstseinsstufen und -linien

Das umfassendste und heute am weitesten verbreitete und akzeptierte Bewusstseinsmodell, ist das Modell „der biologischen-psychologischen-sozialen Evolution“ des amerikanischen Psychologen Clare W. Graves, das nach dessen Tod von seinen Kollegen Don Beck und Christopher Cowan weiterentwickelt und unter dem Namen Spiral Dynamics verbreitet wurde. Spiral Dynamics beschreibt nicht nur die einzelnen Stufen der Entwicklung, dessen Werte, Weltsichten und Glaubenssysteme, sondern zeigt auch auf, wie diese zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen und formen. Und Spiral Dynamics gibt wie kein anderes Modell einen Ausblick auf die Zukunft der Evolution.

Doch Menschen entwickeln ich nicht gleichmäßig durch die Entwicklungsstufen hindurch. So kann es passieren, dass wir uns zum Beispiel kognitiv auf einer sehr hohen Ebene befinden, moralisch oder unsere soziale Kompetenz betreffend aber noch unterentwickelt sind. Ken Wilber spricht hier von multiplen Intelligenzen oder Entwicklungslinien. Integral aufgeklärt zu sein, bedeute jedoch nicht, auf allen Entwicklungslinien meisterhaft zu sein, schreibt Ken Wilber in seinem Buch Integrale Spiritualität, wichtig sei es nur, sich dieser Linien (und der eigenen Schwächen) bewusst zu sein.

Wie viele Entwicklungslinien es gibt beziehungsweise wie stark eine Differenzierung hier Sinn macht, wird kontrovers diskutiert. Ken Wilber geht von circa einem Dutzend verschiedener Linien aus, die drei wichtigsten sind aber die kognitive, die emotionale und die moralisch-ethische Entwicklungslinie. Die kognitive Linie spielt bei der Entwicklung eine zentrale Rolle, weil eine hohe kognitive Entwicklung die Voraussetzung ist für die Entwicklung in allen anderen Bereichen. Deshalb steht eigentlich jeder Mensch kognitiv ein, zwei oder gar drei Stufen über den anderen Bereichen. Wie wir in der Welt handeln, hängt aber nicht von unseren kognitiven Fähigkeiten ab, sondern von unserer Weltsicht – unseren Werten also, unserer moralisch-ethischen Entwicklung.

Spiral Dynamics – die Spirale der Entwicklung von Bewusstsein und Kultur

Wie ein Mensch die Welt sieht, nach welchen Werten er handelt, was seinem Leben Sinn und Orientierung gibt, häng von der Ebene des Bewusstseins ab, auf der er sich befindet. Und dies kann sich ein Leben lang immer wieder ändern. Graves sagt, wenn ein Mensch auf einer Stufe der Existenz gefestigt ist, hat er oder sie die Psychologie, die für diese Stufe typisch ist. Seine oder ihre Gefühle, Motivationen, Glaubenssysteme, aber auch Bildung, Ökonomie und politische Theorie und Praxis sind alle dieser Stufe angemessen. Jede weitere Stufe, Welle oder Ebene der Existenz sei ein Zustand, durch den Menschen auf ihrem Weg zu anderen Seinszuständen hindurchgehen. Die Stufen, das ist wichtig zu verstehen, beschreiben dabei keine „Typen von Menschen“, sondern „Bewusstseinstypen in Menschen“.

Jede neue Stufe entsteht als Antwort auf die grundlegenden Probleme ihrer Zeit. Sozusagen als eine Art Antithese auf die These der vorherigen Stufe. Wichtig sei es, alle Stufen zu würdigen, schreiben Marion Küstenmacher und Tilmann Haberer in ihrem Buch „Gott 9.0“, denn es gebe keine guten oder schlechten Bewusstseinsstufen, vielmehr sei jede für die Epoche, in der sie entstanden ist, „lebensrettend“ gewesen.

Das Bild, welches das Erscheinen neuer und das Transzendieren und Integrieren vorheriger Bewusstseinsebenen am treffendsten beschreibt, ist die Spirale. Und zwar eine Spirale, bei der jede einzelne „Stufe“ mit einer bestimmten Energie schwingt und in einem bestimmten Farbspektrum strahlt und zugleich jede Farbe von den Stufen oberhalb und unterhalb geformt und beeinflusst wird. Spiral Dynamics arbeitet bei der Bezeichnung der Bewusstseinsstufen deshalb auch mit Farben, die charakteristisch sind für die jeweilige Stufe.

Die Spirale des Bewusstseins kann zurückverfolgt werden bis zur frühesten Form menschlichen Bewusstseins vor circa 100.000 Jahren, das als archaisch bezeichnet wird. Archaisches Bewusstsein ist natürlich und instinkthaft – und hat die Farbe Beige, die für die Steppen- und Savannenlandschaft steht, in der die Menschen damals lebten. Beige wird heute nur noch bei Neugeborenen gefunden. Denn die gesamte Evolution des Bewusstseins, die sich über 100.000 Jahre erstreckt hat, wiederholt sich in jedem Menschen im Zeitraffer. Von Geburt an bis ins hohe Alter durchlaufen wir eine bestimmte Anzahl an Stufen, manche Menschen vier, andere sechs, manche sogar acht oder mehr. Und zwar in der gleichen historischen Reihenfolge. Keine Stufe kann übersprungen werden. Erst wenn eine Stufe kultiviert und gefestigt ist, kann ein nachhaltiger Übergang zu nächsten Stufe erfolgen, kann die vorherige Stufe integriert und transzendiert werden.

Bemerkenswert ist, dass auf eine Stufe, auf der die Individualität des Einzelnen betont wird (wir bezeichnen sie als Ich-Stufen) immer eine Stufe folgt, auf der die Gemeinschaft im Vordergrund steht (Wir-Stufen). Das Pendel schwingt dabei immer von Ich zu Wir und wieder zurück, wobei alle Ich-Stufen die Grundthemen Selbstwahrnehmung, Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung haben, wo hingegen es bei den Wir-Stufen immer um die soziale Gruppe und die Grundthemen Selbsthingabe (bis zur Selbstaufopferung) und Verzicht geht. Allerdings hat jedes neue Ich ein tieferes Bewusstsein als das vorherige, genauso wie jedes Wir ein höheres Bewusstsein hat als das vorherige Wir.

Stammesbewusstsein (Purpur)
Die purpurne Bewusstseinsstufe, das Stammesbewusstsein, ist vermutlich vor etwa 50.000 Jahren erstmals aufgetaucht. Die Menschen schließen sich zusammen zu Stämmen und Clans, um die Überlebenschancen in der Wildnis zu erhöhen. Der Mensch nimmt sich zwar als Individuum war, aber fühlt sich auch seiner Gruppe zugehörig, ja, ohne die Gruppe ist er nichts, hat er keine Chance zu überleben. Die Welt in Purpur ist gefährlich, auch andere Stämme sind eine Bedrohung, sie ist geheimnisvoll und wird von Geistern kontrolliert. Aberglaube und magisches Denken bestimmen den Geist. Es gelten die Worte des Häuptlings, des Schamanen und der Alten, und deren Worte werden nicht hinterfragt.

Mit dem Ende der Säuglingszeit zeigt sich beim Kleinkind purpurnes Bewusstsein. Es beginnt, sich mit der eigenen Familie zu identifizieren, „fremdelt“ aber anderen Menschen gegenüber. Märchen, Hexen und Feen gehören zu seiner Welt, das Kuscheltier tröstet und kann sprechen.

Geschätzt befinden sich heute noch knapp fünf Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung auf der purpurnen Bewusstseinsstufe – sie leben in den Urwäldern Amazoniens und Papua Neuguineas sowie in den ländlichen Gebieten mancher Entwicklungs- und Schwellenländer.

Kriegerbewusstsein (Rot)
Vor rund 10.000 Jahren beginnen die ersten Menschen, sich aus der Umklammerung ihrer Clans zu befreien. Sie entdecken ihren freien Willen, ihre Kraft, und sie ziehen hinaus in die Welt, um sich selbst zu entdecken und die Welt zu erobern. Aber auch durch den zunehmenden Erfolg und die steigende Anzahl an Stämmen, die immer öfter in Konflikt miteinander geraten, entsteht eine neue Weltsicht, die Steve McIntosh die Stufe des Kriegerbewusstseins und der Kriegerkultur nennt. Wie jede andere Stufe auch, kann Rot gesund, aber auch pathologisch sein. Rot ist lebendig und abenteuerlustig, aber auch aggressiv, zornig und misstrauisch. Auf sich allein gestellt vertraut der Mensch auf dieser Bewusstseinsstufe niemandem außer sich selbst. Es gilt das Recht des Stärkeren.
Alexander der Große, Attilas Hunnen, die Mongolen Dschingis Khans, aber auch die spanischen Konquistadoren in Mittel- und Südamerika sind Inbegriffe des roten Eroberers, der sich die Welt und die Menschen Untertan macht. Doch das Kriegerbewusstsein ist keineswegs Geschichte. „In Ländern wie Somalia und Afghanistan und in den Slums großer Städte sind Warlords und Straßenbanden ein eindeutiges Zeichen, dass diese Stufe des Bewusstseins auch in der heutigen Welt noch sehr aktiv ist“, schreibt Steve McIntosh. Machtbewusste, egozentrische Menschen, Menschen, die für ihren Erfolg „über Leichen gehen“ – und davon gibt es wahrlich genug, auch in unseren zivilisierten Gesellschaften –, haben alle noch starke Rote Anteile. Geschätzt etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung haben ihren Schwerpunkt auf dieser Stufe.

Im Alter zwischen zwei und vier Jahren durchläuft das heranwachsende Kind diese Bewusstseinsstufe. Wie die Menschen vor 10.000 Jahren entdeckt es seinen Willen, testet Grenzen aus. Wir bezeichnen dies als die Trotzphase, eine unglaublich wichtige Phase für jedes Kleinkind, weil es hier beginnt, voller Neugier seine kleine Welt zu erobern, Selbstvertrauen aufzubauen und Eigenständigkeit zu erlernen. Aber natürlich müssen ihm auch klare Grenzen gesetzt werden. So wie dem Morden, Plündern und Vergewaltigen der Roten Eroberer Grenzen gesetzt werden mussten.

Traditionelles Bewusstsein (Blau)
Traditionelles Bewusstsein – die Stufe Blau – entsteht als Reaktion auf die oft brutalen und chaotischen Lebensbedingungen der vorherigen Stufe. Primäres Ziel von Blau ist es, die „böse“ Rote Welt zu erlösen und Recht und Ordnung zu schaffen. Der Schwerpunkt verschiebt sich von egozentrisch zu ethnozentrisch.

Ganz wichtig zu verstehen sind dabei mehrere Dinge: Zum einen dauerte es oft Hunderte oder gar Tausende von Jahren vom Aufkeimen eines neuen Bewusstseins bis zu seiner Blütezeit, also zu der Zeit, wo ein größerer Teil der Weltbevölkerung tatsächlich diese Stufe erreicht hat. So wie Rotes Bewusstsein sich vor rund 10.000 Jahren zu entwickeln begonnen hat und im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung die dominierende Stufe war. So wie sich Blaues, traditionelles Bewusstsein erstmals vor vielleicht 5.000 Jahren gezeigt hat, aber 4.000 Jahre gebraucht hat, um sich zu stabilisieren und durchzusetzen.

Weil sich die Evolution des Bewusstseins über einen solch langen Zeitraum erstreckt und sich natürlich nicht alle Menschen gleich schnell und gleich weit entwickeln, existieren immer mehrere Bewusstseinsstufen nebeneinander – und es entsteht ein regelrechter Kulturkampf. Ein neu entstandenes Bewusstsein lehnt die vorherige Stufe oft vehement ab und bekämpft sie. Die seither dominierende Stufe empfindet die neue Weltsicht als Bedrohung ihrer eigenen Weltsicht und Lebensumstände.

In einer Blauen Welt herrschen Recht und Ordnung, sie ist hierarchisch organisiert, systemgläubig und fromm, aber auch ehrlich und rechtschaffen. Die Menschen schließen sich zu neuen Gemeinschaften zusammen, die dieselben Weltsichten und Werte haben. Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gelten allen Mitgliedern der eigenen Gruppe – der Dorfgemeinschaft, dem Volk, der Kirche. Das Streben nach Akzeptanz und Anerkennung innerhalb dieser Gruppe bestimmen das Leben der Menschen. Meist ist es eine höhere Macht (Gott), oft aber auch eine Ideologie, die den Menschen Sinn gibt und ihnen ihren Platz in der Gesellschaft zuweist.

Durch die Entwicklung der Schrift beschleunigt sich die Verbreitung von Blauem Gedankengut und Blauen Regeln enorm. Alle monotheistischen Weltreligionen und später auch die Nationalstaaten entstehen auf dieser Bewusstseinsstufe. Und natürlich auch ihre pathologischen Extreme: nationaler und religiöser Fundamentalismus. Denn eines der charakteristischen Kennzeichen dieser ethnozentrischen Bewusstseinsstufe ist, dass nur die eigene Weltsicht und die eigenen Werte als richtig und wahr anerkannt werden. „Wir“ haben generell recht, die anderen unrecht. „Wir“ sind die Guten, die Auserwählten, die anderen die Bösen. Grautöne gibt es nicht, nur Schwarz und Weiß, richtig und falsch. Der Nationalsozialismus der Deutschen war eine Kombination aus Blauer Ideologie (unser Volk, unser Führer) gepaart mit Roter Brutalität – andere Völker wurden unterworfen, anders Denkende, nicht Dazugehörige vernichtet.

„Wenn wir über die traditionelle Bewusstseinsstufe nachdenken“, schreibt Steve McIntosh, „ist es wichtig, anzuerkennen, dass jemand ein relativ hohes Maß an Selbstverwirklichung erreichen kann, während der psychische Schwerpunkt auf dieser Stufe bleibt.“ Dies erklärt, warum heute ein Großteil der Menschen in der westlichen Welt in einer modernen, aufgeklärten Welt lebt, in der Menschenrechte für alle gelten, moderne Technologien genutzt werden und jeder bestrebt ist, sich selbst zu verwirklichen und sein Leben den eigenen Vorstellungen gemäß gestalten darf – aber dennoch (oft zutiefst) traditionelle Werte vertritt. Und warum die Gesellschaften zwar um die Notwendigkeit von Klima- und Umweltschutz wissen, aber bestenfalls halbherzig danach handeln.

Weltweit dürfte sich heute noch etwa die Hälfte der Menschen auf dieser Bewusstseinsstufe befinden, in der westlichen Welt zwischen 30 und 40 Prozent. Der Zuspruch, den traditionelle Parteien wie CDU / CSU in Deutschland und rechtspopulistische Parteien in ganz Europa erfahren, liegt hierin begründet.

Bei einem Kind verschiebt sich der Schwerpunkt des Bewusstseins etwa zwischen der Einschulung und der Pubertät mehr und mehr auf diese Stufe. Es lernt zu folgen, Regeln und Strukturen einzuhalten und entwickelt ein Gefühl für die Konsequenzen des eigenen Handelns. Die Zugehörigkeit zu Gemeinschaften außerhalb der Familie – der Freundeskreis, der Sportverein – ist ungemein wichtig, vermittelt dem Kind ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit.

Modernes Bewusstsein (Orange)
Ein erstes Emergieren modernen, rationalen Bewusstseins fand ab etwa 500 vor Christus statt. Im antiken Griechenland triumphierte die Vernunft, was sich nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Ingenieurskunst, der Mathematik, Politik und Kunst offenbarte. Auch Patanjalis Yoga-Sutren sind eindeutig aus einem rationalen Bewusstsein heraus geschrieben worden. Doch dann schloss sich dieses Fenster unerklärlicherweise für viele Jahrhunderte wieder und Blaues Bewusstsein beherrschte das „dunkle“ Mittelalter.

Bis Mitte des letzten Jahrhunderts, bis zur Renaissance (der „Wiedergeburt“ der antiken Philosphie) dauerte es, bis Oranges Bewusstsein erneut in der Welt erschien und sich spätestens mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert schnell und unaufhaltsam verbreitete. Der Ruf der französischen Revolutionäre nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ist ein Aufstand gegen die Blaue Obrigkeit und ihre verkrusteten Strukturen, moderne Naturwissenschaft und Technik setzen sich gegen blaue Dogmen durch. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, postuliert Immanuel Kant, und die Vernunft wird endgültig zur maßgeblichen Instanz dieses neuen Bewusstseins.

Auch wenn wir heute mit der Kehrseite des modernen Bewusstseins zu kämpfen haben (auf die wir gleich noch zu sprechen kommen), dürfen und müssen wir deren unglaubliche Errungenschaften schätzen: die Fortschritte in der Medizin und in allen Bereichen von Wissenschaft und Technologie, den Aufbau demokratischer Gesellschaften, die Deklaration der Menschenrechte als Naturrecht in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten. Später die Nürnberger Prozesse, die ohne ein selbstbewusstes Orange nicht denkbar gewesen wären. Die Chance auf ein freies, selbstbestimmtes Leben.

Orange erforscht und vermisst die Welt, den Weltraum, den menschlichen Körper. Und entzaubert, berauscht von sich selbst, dadurch die Welt. „Gott ist tot“, ruft Nietzsche, denn ein Gott wird nicht mehr benötigt in einer Welt, in der ausschließlich Ratio und Vernunft regieren. Die Welt wird zum Flachland, sagt Ken Wilber dazu, zu etwas Geistlosem, rein Materiellem, ohne Tiefe und Sinn. Wilber kritisiert die Selbstüberschätzung der empirischen Wissenschaft, den Glauben, „dass es keine Wirklichkeit gäbe außer der von der Wissenschaft enthüllten und keine Wahrheit außer derjenigen, die die Wissenschaft zutage förderte“. Das Bewusstsein selbst, Geist, Herz und Seele der Menschen wurden, weil man sie nicht mit einem Mikroskop oder sonstiger Technik sichtbar machen konnte, „im besten Fall zu Epiphänomenen, im schlechtesten zu Illusionen erklärt“.

Ganz sicher ist dieser Materialismus, in dem nichts mehr heilig ist, einer der Gründe für die vielen Pathologien und die teilweise moralische Bankrotterklärung der Moderne. Klimawandel, Umweltzerstörung und Artensterben haben uns an den Rand einer globalen Katastrophe geführt. Aber auch ein dritter Weltkrieg, die permanente atomare Bedrohung schwebt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Hochmoderne Waffen befinden sich in den Händen prämoderner Potentaten, deren Bewusstsein diese fatale Mischung aus Rot und Blau aufweist, die uns auch schon in die Katastrophe des zweiten Weltkriegs geführt hat. Die Welt braucht ein neues Bewusstsein, vielleicht dringender denn je. Eine neue Wir-Stufe mit einem weltzentrischen Bewusstsein.

Postmodernes Bewusstsein (Grün)
Die erste postmoderne Stufe ist die grüne Stufe. Und die Farbe Grün steht hier natürlich für das neu entstehende Umweltbewusstsein. Von einer weltzentrischen Sicht, die alle Menschen einschließt und nicht nur die eigene Nation, geht die Entwicklung jetzt zu einem Bewusstsein, das auch Tiere und die Natur einbezieht. Auch wenn erste Grüne Ideen schon vor etwa 150 Jahren aufkeimten, erreichte diese Bewusstseinsstufe erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine relevante Schwelle – mit der Hippie- und Flower-Power-Bewegung, dem Aufkommen der Friedens- und Umweltbewegungen, der Gründung grüner Parteien in den westlichen Staaten. Postmodernes Bewusstsein ist charakterisiert durch ein hohes Maß an Sensibilität, vor allem denen gegenüber, die unterdrückt und ausgebeutet werden. Als Antithese zum modernen Orange setzt Grün auf Konsens und Vernetzung und lehnt hierarchische Strukturen vehement ab. Postmodernes Bewusstsein ist pazifistisch und feministisch – eine feministische Außenpolitik, wie sie Annalena Baerbock vertritt, ist nur auf einer postmodernen Stufe denkbar.

„Obwohl der Beitrag der Postmoderne zur menschlichen Evolution noch nicht vollkommen erfüllt ist“, schreibt Steve McIntosh, „gibt es doch viele Anzeichen, dass sie als eine Ebene der Kultur ihre Reife erlangt hat“. Zwar hat erst eine Minderheit der Menschen die postmoderne Bewusstseinsstufe erreicht – zwischen zehn und 15 Prozent im Westen, weniger als fünf Prozent weltweit – dennoch erkennen wir ihren wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Menschheit, ebenso wie ihre Schwächen und Pathologien. McIntosh nennt hier als aller erstes den „Werterelativismus“, der, weil er alle Hierarchien strikt ablehnt und nach dem Prinzip „alles ist okay“ handelt, zu wenig differenziert. Dies zeige sich unter anderem in der New-Age-Spiritualität, der alternativen Medizin und dem Multikulturalismus.

Grün entdeckt das Innere und die Spiritualität wieder, und dies ist definitiv eine gute Nachricht, denn eine Welt, aus der alles Heilige verschwunden ist, wird, wie wir rund um den Globus sehen können, zum rein materiellen Rohstoff.

Allerdings ist eine postmoderne Spiritualität auch in hohem Maße undifferenziert. Aufgrund der oft antimodernen Ressentiments der postmodernen Weltsicht gegenüber der Moderne und der Überbetonung der Gefühle gegenüber der Vernunft, wird alles, was nicht-rational ist, als spirituell angesehen. „Dieses Wochenende verbringt man in der indianischen Schwitzhütte, das nächste mit Wicca-Zeremonien, am übernächsten wandert man zu den Naturgeistern, Devas und Feen im Frühlingswald, und dann geht’s zum Sonnenritual nach Stonehenge“, so beschreiben Marion Küstenmacher und Tilmann Haberer dieses Phänomen. Grünes Bewusstsein erkennt nicht, dass es sich hierbei um ausnahmslos prärationale Erfahrungsmöglichkeiten handelt. Also um magisches Denken, um einen oft naiven und kindlichen Aberglauben.

Der Bestseller „Bestellungen ans Universum“ und der Film „What the Bleep do we know“, in dem „auf unseriöse Weise Physiker-Interviews mit Purpurnem New-Age-Spiritismus und Oranger Wissenschaftsgläubigkeit verknüpft werden“, so Küstenmacher und Haberer, sind bekannte Beispiele, dieser Prä-Trans-Verwechslung, wie Ken Wilber das Phänomen bezeichnet. Zwar ist es gut und wichtig, auch diese prä-modernen Rituale zu würdigen, aber ein Zurück zu Prä-rationalen Weltsichten kann nicht die Lösung sein. Die Moderne mit ihrer rationalen Vernunft, hat uns glücklicherweise von viel magischem und mythischem Ballast befreit. Eine aufgeklärte Spiritualität aber ist nicht rückwärts-, sondern vorwärtsgewandt, sie geht über die Moderne hinaus, integriert und transzendiert diese. Eine aufgeklärte (integrale) Spiritualität steht niemals im Widerspruch zu Wissenschaft und Forschung, sondern fügt dieser etwas hinzu: Bewusstsein und Tiefe.

Kampf der Kulturen und Weltsichten
Heute konkurrieren in der westlichen Welt also drei Weltsichten miteinander: die traditionelle Blaue, die moderne Orange Weltsicht und das postmoderne Grün. Und natürlich gibt es auch die Zwischenstufen, Blau/Orange, Orange/Grün, Grün/Gelb, es dauert lange, bis Stabilität auf einer neuen Bewusstseinsstufe erreicht ist. „Die Spirale ist unordentlich, nicht symmetrisch, mit vielen Mischformen statt reinen Typen“, beschreibt es Don Beck.

Schöne Beispiele dafür finden wir in der Politik und den Parteien. In der CDU wollen die einen eine Modernisierung, wie sie Angela Merkel auf den Weg gebracht hat, die anderen propagieren ein Zurück zu traditionellen Werten. Die FDP ist eigentlich die Partei der Moderne, von ihren Werten her ist sie jedoch eher rückwärtsgewandt als zukunftsorientiert, das heißt näher an der Bewusstseinsstufe Blau als an Grün. Die SPD befindet sich auf dem Weg von Orange zu Grün, wagt es aber noch nicht, sich komplett zu Grünen Werten zu bekennen. Und in der Grünen Führungsspitze blitzt schon ein wenig die nächste Bewusstseinsstufe auf, die (differenzierendere, pragmatischere) Integrale, was jedoch von der Grünen Basis oft als Verrat an Grünen Werten gesehen wird. Und natürlich bekämpft man sich gegenseitig, oft bis aufs Blut. Vor allem die Grünen dienen gern als Prügelknaben, denn Grüne Themen wie Gendern und Ernährung – Vegetarismus oder Veganismus –  empfinden vor allem Menschen der Blauen Stufe als Frontalangriff auf die eigenen traditionellen Werte und die traditionelle Kultur.

Weil alle Stufen nur die eigene Weltsicht als wahr und richtig anerkennen, von den anderen Stufen vor allem die pathologischen Aspekte wahrnehmen, aber nicht ihre wertvollen Beiträge zur Evolution, verschärft sich der Kulturkampf zunehmend, und gemeinsamer Fortschritt wird verhindert. So ist der Aufstieg zu einem Grünen Bewusstsein zwar ein notwendiger, ja überfälliger Schritt, weil es die moralisch am weitesten entwickelte Stufe ist, aber er wird nicht reichen, um die globalen Probleme der Welt zu lösen. Ein neues Bewusstsein ist notwendig, und dieses bezeichnen Ken Wilber, Steve McIntosh und viele andere als integral.

Integrales Bewusstsein (Gelb)
Die integrale Weltsicht transzendiert die Postmoderne, weil sie zu etwas völlig Neuem in der Lage ist: Sie überblickt als erste Weltsicht die gesamte Spirale. Gelb erkennt die Bedeutung und evolutionäre Notwendigkeit jeder einzelnen vorherigen Stufe, würdigt deren Werte und Errungenschaften, erkennt aber auch ganz klar die jeweiligen Schwächen – und ist in der Lage, dies alles in neuen, systemischen Lösungsansätzen zu berücksichtigen. Der Zukunftsforscher Matthias Horx spricht von einer neuen Fähigkeit des „fluiden Denkens“, das erkennen kann, „wie widersprüchliche Elemente zusammenhängen und einen Sinn ergeben“. Und Steve McIntosh schreibt: „Integrales Bewusstsein führt sehr viel effektiver zu evolutionärer Entwicklung, weil es die Evolution selbst besser versteht.“

Spiral Dynamics spricht deshalb von einem zweiten Rang (2nd tier), und das integrale Bewusstsein ist die erste Stufe dieses zweiten Ranges. Und nach der Grünen Wir-Stufe die nächste individualistische Ich-Stufe. Moralisch sehr weit entwickelt, agiert es unabhängig und weit gehend frei von Ängsten und Zwängen, handelt aber nie auf Kosten anderer. Gelb ist immun gegenüber Machtspielchen der früheren Stufen und übernimmt die volle Verantwortung für das eigene Leben. Paradoxien anzunehmen und unterschiedliche Wahrheiten nebeneinander stehenzulassen, ist für das integrale Bewusstsein selbstverständlich.

Vor allem erkennt Gelb, wie wichtig eine gesunde Spirale der Evolution ist und wie unrealistisch der Grüne Ruf nach einem verantwortungsvollen weltzentrischen Bewusstsein aller. „Einfach darauf zu bestehen, dass wir alle eine weltzentrische Ökologie annehmen oder globales Mitgefühl entwickeln sollten, ist ein gut gemeintes, aber in praktischer Hinsicht nicht besonders nützliches Projekt“, sagt Ken Wilber dazu, „denn weltzentrische Wellen gehen aus Entwicklung hervor, nicht aus Ermahnungen“. Und Steve McIntosh ergänzt: „Die Postmoderne kann oft sehr antimodern eingestellt sein, trotz der Tatsache, dass die Moderne den nächsten wichtigen Schritt für die Mehrheit der Weltbevölkerung darstellt.“

Die sozialen und kulturellen Spannungen werden wie gesagt durch die Tendenz jeder Stufe verstärkt, vor allem die pathologischen Elemente der anderen Stufen zu sehen statt deren Stärken und wichtige Beiträge zur Evolution. Dieser Kulturkampf zwischen den Stufen verstärke die regressiven Elemente, sagt Steve McIntosh. Nur wenn man es schaffe, die bleibenden Ideale einer jeden Weltsicht ernsthaft zu würdigen, könne es gelingen, die Extremisten auf jeder Ebene zu entmachten. Auch weil jeder Mensch, auch in Zukunft, alle Stufen wird durchlaufen müssen, sei es wichtig, die Stärken dieser Stufen zu nutzen und darauf zu achten, dass die Pathologien und die Extremisten dieser Stufen nicht die Oberhand gewinnen. Diesen Prozess einzuleiten und zu moderieren ist die wesentliche Aufgabe des neu aufkommenden integralen Bewusstseins.

Doch natürlich stellt sich angesichts der Tatsache, dass sich die weltweiten schwerwiegenden Probleme immer mehr verschärfen, die Frage, ob die Evolution hin zur Gelben Bewusstseinsstufe schnell genug erfolgen wird? Steve McIntosh hofft, „dass die globalen Probleme genug Besorgnis hervorrufen, um bereits in der Gegenwart das Entstehen einer integralen Weltsicht in einer kritischen Masse von Menschen zu stimulieren“. Und dass sich unsere Kultur schnell genug entwickelt, um die Art von Krise zu vermeiden, die tatsächlich zur Regression der Kultur führen könnte. Doch hoffen allein wird nicht ausreichen. Jeder einzelne bewusste Mensch kann und muss daran mitwirken, integrale Werte und integrales Bewusstsein bei sich selbst zu entwickeln, zu kultivieren und in die Welt zu bringen.

Wie geht es weiter?

Wenn wir die Dynamik der Spirale verstehen, dann können wir erahnen, was als nächstes kommt: Integrale Individualisten schließen sich auf einer noch höheren Bewusstseinsstufe – Spiral Dynamics verwendet für diese Ebene bereits die Farbe Türkis, die Farbe, die die Erde hat, wenn man sie aus dem Weltraum betrachtet – zu integralen Gemeinschaften zusammen. Vielleicht entsteht auf dieser Stufe eine Weltföderation, eine Weltregierung, die tatsächlich auf globaler Ebene im Sinne aller handelt, aller Menschen, aller Wesen und im Sinne des gesamten Planeten, weil sie alle Weltsichten erkennt, würdigt und berücksichtigt. Es wäre eine definitiv ganz andere Welt als die heutige. Eine friedlichere, gesündere, spirituellere und gerechtere. Und wir alle sind dazu aufgerufen, am Entstehen dieser schönen neuen Welt mitzuwirken. Yoga, Vipassana, Zen-Meditation und andere östliche Praktiken helfen uns dabei. Denn sie führen uns nicht nur in die Stille, in meditative Zustände absoluter Klarheit und Verbundenheit – sondern beschleunigen auch die Entwicklung durch die Bewusstseinsstufen hindurch.

Quellen:

Ken Wilber: Eros, Kosmos, Logos – eine Jahrtausendvision
Ken Wilber: Integrale Spiritualität – Spirituelle Intelligenz rettet die Welt
Steve McIntosh: Integrales Bewusstsein und die Zukunft der Evolution
Don Edward Beck, Christopher Cowan: Spiral Dynamics – Leadership, Werte und Wandel
Marion Küstenmacher, Tilmann Haberer, Werner Tiki Küstenmacher: Gott 9.0 – Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird

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